Kinder wachsen heute in einer digital geprägten Welt auf. Zur Einschulung gibt es Smartphones, Babys schauen Videos im Kinderwagen, Kleinkinder streichen mit dem Finger über Bücher, als wären es Bildschirme. Diese Entwicklung verändert die Kinder grundlegend: . Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt, kreative Fähigkeiten verkümmern, Kommunikation über Mimik, Gestik oder Sprache geht zunehmend verloren. Parallel dazu nehmen gesundheitliche Probleme wie Adipositas, Diabetes und psychische Erkrankungen bereits im Kindesalter zu.
Umso wichtiger sind reale Erfahrungsräume ist es, Kindern reale Erfahrungsräume zu bieten – Orte, an denen sie mit allen Sinnen spielen, entdecken, ausprobieren und scheitern dürfen. Naturspielräume bieten genau das: ungestaltete Flächen mit Möglichkeiten zum Klettern, Matschen, Balancieren, Verstecken, Beobachten und Gestalten. Besonders in Kindertagesstätten liegt großes Potenzial, naturnahe Bewegungsräume zu schaffen, die Kinder in ihrer Entwicklung umfassend fördern – motorisch, sensorisch, sozial und kognitiv.
Kann naturnahe Gestaltung auch inklusiv sein?
In den Niederlanden hat sich unter dem Begriff speelnatuur ein klar definiertes Konzept etabliert: naturnahe Spiellandschaften, die mit Materialien wie Holz, Wasser, Steinen, Sand und Pflanzen gestaltet werden. Die Stiftung OERRR fördert dort entsprechende Projekte und verfolgt das Ziel, Kindern wieder mehr Naturerfahrung zu ermöglichen.
In Deutschland fehlt bisher eine vergleichbare Initiative. Zwar engagieren sich Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe für naturnahe Schulhöfe, und einzelne Vereine wie Acker e. V. fördern gärtnerische Bildung. Doch eine gezielte Förderung von naturnahen Spielplätzen im Sinne eines systematischen Ansatzes gibt es bislang nicht. Hinweise auf entsprechende Projekte sind daher willkommen.
Gegen unbegründete Ängste: Inklusion durch gutes Design
Ein inklusiver gestalteter Spielraum schafft Berührungspunkte zwischen allen Kindern- mit und ohne Behinderung. Das gelingt durch ein universelles Design, das Vielfalt berücksichtigt und Teilhabe selbstverständlich macht.
Grundlage dafür bilden die Prinzipien von Design for All, die bei der Planung naturnaher und inklusiver Spielräume eine zentrale Rolle spielen:
- Breite Nutzbarkeit – alle Kinder können die Spielangebote unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten nutzen.
- Flexibilität im Gebrauch – verschiedene Zugänge und Nutzungsarten ermöglichen kreative, selbstbestimmte Spielweisen.
- Einfache und intuitive Handhabung – die Nutzung von Elementen erschließt sich ohne Vorkenntnisse.
- Sensorische Wahrnehmbarkeit von Informationen – Spielräume sprechen möglichst viele Sinne an: Sehen, Hören, Tasten, Riechen.
- Fehlertoleranz – auch bei falscher Nutzung entstehen keine gefährlichen Situationen.
- Geringer körperlicher Einsatz – einzelne Spielbereiche sind auch für Kinder mit geringerer Kraft oder Ausdauer erreichbar.
- Erreichbarkeit und Zugänglichkeit – barrierefreie Wege, berollbare Flächen und ausreichend Bewegungsraum sind selbstverständlich.
- Partizipation – Kinder werden aktiv in den Gestaltungsprozess einbezogen. Ihre Erfahrungen und Perspektiven fließen in die Planung ein.
Natürliche Materialien wie Holz, Steine und Pflanzen unterstützen dieses Prinzip zusätzlich: Sie regen die Sinne an, schaffen Abwechslung und laden zu vielseitigem Spiel ein.
Inklusion braucht Gestaltungsspielraum
Die Frage, ob naturnahe Spielplätze auch inklusiv sein können, stellt sich vielen Planenden. Tatsächlich schließen sich Natur und Inklusion nicht aus – im Gegenteil. Ein gut durchdachtes, barrierefreies Gelände mit vielfältigen Anreizen kann für alle Kinder ein Gewinn sein. Entscheidend ist die Gestaltung.
Ein inklusiver Naturspielplatz nutzt natürliche Materialien, verzichtet aber nicht auf Zugänglichkeit. Breite, berollbare Wege, strukturreiche Böden mit unterschiedlichen Texturen, Wasserläufe, die selbst aktiviert werden können, bewegliche Materialien wie Äste, Bohlen oder Steine – all das fördert selbstwirksames Handeln und gemeinsames Spiel. Natürliche Rückzugsorte wie Weidentunnel oder bepflanzte Hügel schaffen Räume für Ruhe und Schutz.
Natürliche Vielfalt statt Standard
Statt standardisierter Geräte bietet ein inklusiver Naturspielplatz abwechslungsreiche Sinneseindrücke und Bewegungsanreize:
– Wasserspiele mit Matschtischen oder Rinnen
– Kletter- und Balancierangebote aus Holz oder Naturstein
– Rückzugsräume aus bepflanzten Weiden
– verschiedene Untergründe wie Rindenmulch, Kies, Rasen oder Kork
– essbare Pflanzen, duftende Stauden, alte Obstsorten und Kräuter
– taktile Beschilderungen mit Informationen zu Pflanzen und Tieren
Der bewusste Verzicht auf standardisierte Spielgeräte bedeutet nicht, dass keine Geräte eingesetzt werden. Auch eine barrierefreie Schaukel oder ein Karussell kann gut integriert werden – wenn es sich harmonisch in die naturnahe Gestaltung einfügt und mit geeigneten Fallschutzmaterialien kombiniert wird.
Pflege und Unterhalt
Der Pflegeaufwand eines naturnahen Spielplatzes ist nicht zu unterschätzen, aber er ist planbar. Bepflanzungen müssen gepflegt, Pumpen gewartet und Rückzugsbereiche regelmäßig kontrolliert werden. Im Vergleich zu herkömmlichen Spielplätzen mit großem Geräteanteil und versiegelten Flächen ergibt sich jedoch kein wesentlich höherer Aufwand – wenn die Instandhaltung von Anfang an mitgedacht wird.
Beteiligung schafft Identifikation
Ein zentrales Element bei der Planung inklusiver und naturnaher Spielräume ist die Beteiligung.
Kinder – mit und ohne Behinderungen – sollten frühzeitig einbezogen werden: durch Beobachtungen, Gespräche, Modellbau oder kreative Workshops. Nur so lassen sich echte Bedarfe ermitteln und Barrieren abbauen, bevor sie entstehen.
Auch das pädagogische Personal, Eltern sowie Menschen mit Fachwissen im Bereich Inklusion und Barrierefreiheit sollten in den Planungsprozess integriert werden.
Fazit: Vielfalt schafft Inklusion!
Inklusive naturnahe Spielplätze sind kein Widerspruch – sondern eine Chance! Sie sind Ausdruck eines pädagogischen und gesellschaftlichen Anspruchs: allen Kindern die Teilhabe an Natur, Bewegung und freiem Spiel zu ermöglichen. Entscheidend ist die Gestaltung: Natürliche Materialien, Bewegungsvielfalt, Rückzugsmöglichkeiten und intuitive Nutzung fördern Kreativität, Resilienz, soziale Kompetenz und Naturverbundenheit. So entsteht ein Ort, der nicht nur barrierefrei, sondern wirklich inklusiv ist – und in dem Inklusion ganz ohne pädagogischen Zeigefinger gelebt werden kann.
Solche Orte sind ein Gegenentwurf zu einer stillsitzenden, digitalen Welt – und eine Investition in Gesundheit, Vielfalt und Gerechtigkeit.